Viktor
Die ersten Sonnenstrahlen, die nach dem Unwetter der vergangenen Nacht, die Stadt wieder aufatmen ließen, drangen durch die dicht besiedelte Walnussbaumfamilie des Vorgartens in das, noch von friedlichem Schlaf und kühnen Träumen erfüllte, Zimmer des kleinen Viktor Cortez. Die vom Wasserdunst beschlagene und von spinnenartigen Regentropfen übersäte Fensterscheibe war durch die stürmischen Böen ein wenig aus den Angeln gehoben worden und bewegte sich nun unachtsam des bebenden, von farbigen Wolldecken und schweren Kissen verhüllten Wesens, in dem Geflüster des Windes weiter. Das Haus der Familie Cortez hatte schon vor Jahren seinen ebenbürtigen Charme und unverkennbaren Glanz für ein unaufhaltsames Altern, dass sich durch faltiges, verwittertes Aussehen auszeichnete, abtreten müssen. Das Spiel zwischen Wind und Fensterscheibe setzte sich in quietschenden und knarrenden Tönen solange fort, bis sich der 14-Jährige in seinem Bett unter der Decken aufzusetzen schien, um diese langsam von seinem Kopf zu schieben, bis seine schlaftrunkener Blick das nervenberstende Gespann ins Visier nahmen. Schach matt! Viktor warf den Wollhaufen von sich und sprang mit einem Satz aus dem Bett. Seine nackten Füße bahnten sich durch den Bücherteppich bis hin zum Fenster. Aufgeschlagene und verschlossene, alte und neue, schillernde und farblose Werke sämtlicher Schriftsteller entwarfen diesen einmaligen und nur schwer überquerbaren Bodenspanner. So gelang es Viktor immer wieder von neuem über eines seiner Bücher zu stolpern und reflexartig einen Fluch von sich zu geben. Er raffte sich in Sekundenschnelle wieder auf, wobei ihm der Gedanke durchfuhr, das Chaos eines Tages wieder ins Reine bringen zu wollen. Diese Überlegung war ihm schon so einige Male gekommen, doch hatte sich eine akut bedrohliche Situation dazwischen gedrängt oder sein eigenmächtiger Wille stets entzogen diesem Durcheinander standzuhalten. Wie oft hatte ihn seine Mutter dafür getadelt und ihn trotzdem nie zur Einsicht bringen können, was aber viel mehr aus dem Tod seines Vaters resultierte als aus dem eigentlich genannten Grund. Viktors Vater brachte nämlich die Gewohnheit mit sich seine Bücher nicht in die dafür vorgesehenen Regale sondern stets auf dem Fußboden zu hüten. Was wohl daran liegen mochte, dass sein Vater sich darin übte auf dem Boden zu lesen und zu schreiben. „Schreibtisch und Stuhl wurden nur erfunden, um jemanden seiner Freiheit und somit seinem Geist und der Inspiration, die es beim Schreiben bedarf, zu berauben!“, war das konstruktive Argument, dass er in Momenten der Fragerei anderer Menschen, die sich diesem Mythos der Bodenbücherwerkstatt nicht hingeben wollten, meist von sich gab und wofür er grämende, spöttische aber auch befürwortende Worte seiner Mitmenschen erntete. Endlich am Fenster angekommen, ergriff Viktor sofort den Riegel, um das Fenster zu schließen und die verspielten Böen vollends in die Schranken zu weisen. Mit einem Siegertreppenlächeln klopfte er sich die meisterlichen Handflächen ab, schloss die Augen und gab sich den wärmenden Sonnenstrahlen, die seinem unschuldigen Gesicht schmeichelten, gedankenlos hin und träumte. Bis er aufschrak als sich plötzlich etwas auf seinem blassen Fuß niederließ und er reflexartig, in der Annahme es handle sich um eine Spinne, die er hin und wieder schaudernd in seinem Zimmer empfing, einen Schritt zurücksprang und mit weit aufgerissenen Augen auf das Objekt seiner Pulsraserei starrte. Es war ein Zettel. Stop. Es war nicht nur ein Zettel. Es war ein goldfarbenes Stück Papier, welches durch eine schwarze Baumwollschnur streng zusammengerollt, jedoch liebevoll mit einer Schleife verziert, einen mysteriösen Eindruck auf ihn erweckte. Im ersten Moment stand er still und es schien als würde die Welt mit ihm stehen. Kein Ton, keine Bewegung, kein… Atem. Viktor blies mit sich aufblähenden Wangen kräftig Luft aus seinen Lungenflügeln und seine wirren schwarzen Haare aus dem Gesicht. Er kniete nieder und betrachtete skeptisch das Papier wie einen auf dem Rücken liegenden Käfer, nur das er sich seines sonst so ermutigenden Ausrufe: „Hey stand up! Go! You get it!“ ersparte. Seine Fingerspitzen berührten vorsichtig die unbekannte Entdeckung, um im nächsten Moment aus, man darf sagen, jugendhaften Leichtsinn der Neugier nicht länger standhalten zu können. Ja, Leichtsinn. Denn mit dem Losbinden der Schnur und dem Öffnen der goldenen Botschaft entstand für Viktor eine rätselhafte Aufgabe und ein zugleich spannendes und nicht minder gefährliches Abenteuer…
Und wie geht es weiter????
Diese Satzbaustrucktur von dir ist der absolute hammer.
diese verschachtelten sätze bringen mich zum grinsen, herrlich.
und ich weiß nicht warum aber dieser text wirkt wie ein buch von joanne k. rowling-harry potter auf mich.
und diese bücher habe ich verschlungen:-)
WILL MEHR!!!
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