Mount Rinjani

Eines Nachts im Oktober erwachte ich schweißgebadet in klirrender Kälte auf dem steinharten Boden eines Zeltes. Noch blind vor Schlaf, versuchte ich einen klaren Gedanken zu fassen und auszumachen, in welcher Umgebung ich mich tatsächlich befand, während meine Fingerspitzen mit verzogenen Mundwinkeln vorsichtig den Schlafsack tätschelten. „Mein Bett, es muss mein Bett sein!“, sagte mir mein Verstand unaufhörlich. Doch meine Sinne prophezeiten etwas anderes: Ich befand mich in einem organefarbenen Kinderzelt, welches in das helle Licht einer von der provisorischen Decke hängenden Taschenlampe getaucht wurde und furchtbar in den Augen schmerzte. Draußen vernahm ich Geräusche, die unweigerlich meine Härchen auf der Haut hochschießen ließen. In diesem Moment bewegte sich meine Hand blitzschnell auf die Taschenlampe zu und ließ diese zitternd erlöschen. Nun saß ich nach einem Schutzobjekt suchend, still da, atemlos und verfolgte gebannt, die immer näher kommenden Geräusche mit tiefgefrorenen Ohren, in der Hoffnung irgendwann doch noch aufzuwachen.

Gut geht, wer ohne Spuren geht

„Ach Kind, verarsch mich nicht!“, wiederholt meine Mutter zum zehnten Mal, als ich ihr mitteile, dass ich bei Punkt drei auf meiner Bucket-List die Besteigung eines Vulkans zu stehen habe. Der Begriff Besteigung muss folglich jedoch in Bekriechung revidiert werden. Ich habe nachgeschlagen, ein Wort welches im Duden bisher noch nicht aufgenommen worden ist. Unverständlich für mich und wahrscheinlich jene, die einmal einen Gipfel hoch gekrochen sind. „Läuft bei mir“, antworte ich lässig und lasse den Hörer langsam aus der Hand gleiten, um meinen prallen Rucksack mit aller Gewalt zuzuschnüren. „Ok Mutti, muss los!“, lasse ich es noch euphorisch verlauten und lege auf, als das Bergsteigertrupp vor mir auf den Jeep klettert und die Sachen wie Müll in die Ecken wirft.
Auf der Fahrt nach oben wird das erste Bier mit bunten Feuerzeugen geöffnet und die Zigaretten qualmen wie besorgniserregende Rauchschwaden über uns hinweg. Wir sind eine Gruppe von acht Leuten, so ziemlich aus allen Ländern und in jeder Altersklasse vertreten. Die Stimmung ist aufgeheizt und lustig, alle lachen über blöde Witze, während der Fahrer sich angestrengt seinen Weg durch Bäume und Geröll bahnt, dabei hüpfen wir auf der Ladefläche im Takt auf und ab. Nicht schlimm, wir trinken noch ein Bier.


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Eine Stunde später befinden wir uns auf 600 Meter Höhe des Mount Rinjani, dem zweithöchsten Vulkan der Insel Lomboks in Indonesien. 3.100 weitere Meter und drei Tage haben wir noch vor uns, erzählt der Tourguide vor Beginn des Aufstiegs und geht mit uns das Sicherheitstraining durch, welches darin besteht einen signalroten Ausweis mit beschriftetem Namen am Rucksack sichtbar zu befestigen und ja nicht zu verlieren. „Ist das etwa unser Totenschein?“, frage ich lallend von zwei Bieren, die in der brütenden Hitze schnell bei mir reinhauen und grinse doof in die Runde. Alle starren mich mit entgleisten Gesichtern an, von Freude keine Spur. „Ups“, sage ich kurz und fummele pfeifend an dem roten Ausweis rum, während der Guide die Gruppe weiter belehrt.

Aus dem Leben eines Esels

Nach dem ersten Aufstieg, stehe ich beweglos mit schwitzenden Kadaver fest an einen Baum geklammert und starre fassungslos den kilometerweiten Weg zurück. Ein kleiner Junge kommt mit einem Joint in der Hand zu mir gelaufen und reicht mir eine Flasche Wasser, auch ihn starre ich entsetzt an. Die Gruppe sitzt entspannt und essend am Feuer, während ich von dem Jungen erfahren muss, dass er unser tatsächlicher Guide ist und der Vater aufgrund seines besseren Englischs nur zur Unterrichtung der Gruppe diente. Er erzählt mir fröhlich, dass er Ady heißt, 16 Jahre alt ist und am Tage des Ausbruchs im Jahr 2010 auch auf dem Rinjani stand. Mein Mund schließt sich erst wieder, nachdem ich einen Löffel Reis hinein schaufele.

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Als der Abend schon dämmert, erblicke ich auf allen Vieren, wie ein getriebener Esel den Gipfel. Acht Stunden Schweiß, Dreck und Blut liegen nun hinter mir. Bewusstlos falle ich auf 2.600 Meter Höhe in mein Miniaturzelt und schlafe sofort ein, bis ich nachts erwache. Betäubt sitze ich im Zelt und höre Geräusche, knipse die vergessene Taschenlampe aus und spüre wie sich etwas schnurstracks auf mein Zelt zu bewegt. Mit blinzelnden Augen und abwehrender Tupperdose vor meinem Gesicht, lasse ich es geschehen. „Hey, schau dir das an!“, schreit Ady als er ungeniert in mein Zelt poltert und ich ihm die Tupperdose schockiert ins Gesicht werfe. Als er den Blick auf die Natur freigibt, um die anderen der Gruppe zu wecken, eröffnet sich vor meiner Iris ein Farbspiel der Superlative. Ich sitze am Gipfelrand und sehe den Kratersee bei Nacht durch die Glut rund herum leuchten, wie kleine rote Sterne tanzen einzelne Funken im Dunkeln. Doch das Spektakel ist schnell vorüber, denn nun geht es nach ganz oben.

Paradise City

Um 3 Uhr in der Früh, wagen wir die endgültige Bekriechung! Meine Taschenlampe mit tauben Händen schief auf dem Kopf befestigt, hält gerade so stand, als ich mich gelähmt aus dem Schlafsack erhebe und meine Knochen in die richtige Position renke. Ady geht kiffend voran, die Esel folgen. Jeder Schritt ist ein Kampf mit mir selbst, bei dem ich versuche nicht über Lavabrocken zu stolpern oder gegen Felsen zu rennen und trotzdem passiert es mir immer wieder. Als die Sonne langsam am Horizont aufsteigt, sind es noch einige Meter. Ady drillt uns wie im schlechten Film und ich frage mich was dieser Typ da eigentlich geraucht hat, dass er so springmausartig vor uns umher tänzeln kann. Und plötzlich sehe ich den Kraterrand, wir haben es geschafft. Die Sonne geht langsam am Horizont auf und der endlose See wird in ein farbenfrohes Licht getaucht. Ich sinke zu Boden und ein einziger Gedanke, der mir bleibt: „Ich lebe, aber wo ist das Bier?“

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Bei der Rückkehr zu den Zelten verdrücke ich schnell noch ein kleines Bintag, dass Dank eisiger Kälte die beste Temperatur aufweist und freue mich, dass es nun runter zu den Hot Springs zur Erfrischung geht, um die wunden Knochen im warmen Spa zu heilen. Auf dem finalen Weg bergab trinken wir frisches Quellwasser aus dem See, begegnen Rhesusaffen, die frech und mit ausgestreckten Mittelfingern unser Futter klauen und sehen die nächste Gruppe aufsteigen, die uns (offensichtlich) für Neandertaler hält. Mir bluten die Hände, als wir normalen Boden erreichen, ich eine Zigarette anzünde und reglos mit dem Sound von Guns´n´Roses „Paradise City“ in den Jeep sacke und dem Vulkan nachschauend mit einem breiten Grinsen den Rücken kehre. Oh ja, ich lebe und bin tatsächlich wach.

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