Wenn Liebe blind macht

Habt ihr euch schon mal überlegt, was das heißt, wenn Liebe blind macht? Ich meine, nichts zu sehen, einen schwarzen Fleck vor dem Auge zu haben und Leere in einem Moment zu spüren, der nach einer Regenbogen-Safari mit den Glücksbärchis ruft. Ein Paradox.

Eigentlich ist es wie ein Bild ohne Inhalt. Ein Mensch, der sein Augenlicht verliert oder ohne dieses geboren wird, lernt oder weiß im Laufe der Zeit damit umzugehen. Ein Mensch jedoch, der seine visuelle Wahrnehmung vergisst oder verdrängt, ist meist unsterblich verliebt.

Flashback

Eine Freundin sitzt neben mir. Juli heißt sie. Sie erzählt mir vom gestrigen Erlebnis mit ihrem Freund. Die beiden sind seit ein paar Monaten in einer Beziehung und bisher lief alles top; dachte ich. „Also dieses Hotel war der absolute Hammer. Wir hatten sogar einen Spa.“, erzählt sie entzückt und ich kann mir in jenem Moment nur zu gut vorstellen, was sie darin getrieben haben. Jeder kann das.

Sie wirft ihr braunes Haar zurück, beißt sich auf die Oberlippe und formt ein keckes Lächeln, dabei entdecke ich parallel unter ihrem Haaransatz verlaufend eine Platzwunde. „Was ist passiert?“, frage ich und deute auf ihre Stirn. Beschämt hebt sie die Hand und tastet ihre Verletzung ab: „Ach das. Nichts.“, gibt sie bedrückt von sich. „Erzähl keinen Mist!“ Sie erstarrt eiskalt, senkt den Kopf und erzählt mir die wahre Geschichte von gestern Nacht.

Ben war noch was trinken. Er genehmigte sich ein paar Whisky Soda in der Hotelbar, während Juli sich oben im Zimmer in eine süße Verpackung hüllte und das Badewannenwasser mit den schrillsten Badekugeln der Neuzeit schmückte.

Es klopfte an der Tür und Juli öffnete diese freudig, um ihre Crème de la Crème mit spitzen Lippen zu empfangen. Doch statt eines Kusses, regnete es Schläge auf sie nieder. Am nächsten Morgen wachte sie nackt neben der Badewanne auf.

Liebe?

Ist das wirklich Liebe? Wir verbinden Liebe mit Glück, Freude und Gefühlen. Aber nichts von alldem kann ich in dieser Beziehung finden. Ginge es nach meiner Meinung, wäre dies ein klarer Fall für “Aktenzeichen XY”, bei dem es die Liebe und nicht den Täter zu suchen gilt. Aber nach meiner Meinung geht es hier nicht.

Der Schleier, der sich über unsere Augen legt und unsere Sinne benebelt, ist eine bloße Verarbeitung des Gefühls, welches in uns aufkeimt, wenn wir einen Menschen sehen und uns verlieben. Wir selbst können dieses Geschehen gar nicht beeinflussen.

Wir können nur gnadenlos miterleben, wie uns die Luft weg bleibt, wenn uns diese Person gegenübertritt. Wie sich unsere Zunge verknotet, wenn wir Eindruck machen wollen. Wie unsere Bewegungen sich verändern und wir eigentlich gar nicht mehr der sind, der wir sonst sind. Die Botenstoffe, die dabei vom Körper ausgesendet werden, deuten auf Alarmstufe Rot hin. Kurz gesagt: Unser Kopf ist ein Rauchmelder, der um Hilfe schreit.

Es gibt wissenschaftliche Belege dafür, dass der Nervenkitzel einer riskanten Situation zwei Verliebte noch enger aneinander bindet. Schon ein kleiner Schlag ins Gesicht, gaukelt dem Gehirn vor, dass wir uns in Gefahr befinden. Durch das Adrenalin fühlen wir uns aufgewühlt. Wir haben nicht Herzklopfen, weil wir uns verlieben, sondern wir verlieben uns, weil wir Herzklopfen haben. Das Paradebeispiel Nummer eins: Wilder Sex. Ab diesem Moment ist die Liebe blind und unbezwingbar.

Seilspringen ohne Seil

So entsteht eine Beziehung. Juli kann gar nicht anders als Ben zu lieben, ihr Körper ist vollends darauf eingestellt, diesem Idiot alles zu geben und ihm zu verzeihen. Und sei es ein Seitensprung. Oder eben Schläge. Dieses Empfinden ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausgeprägt und kann in jeder Beziehung anders zum Vorschein kommen.

Doch so oder so werden wir uns von unserem Herzschlag weich prügeln lassen. Ich möchte nicht gut heißen oder pauschalisieren, dass Gewalt eine Beziehung am Leben erhält. Aber sie gehört im gesunden Maße dazu. Doch einer blinden Gefahr nachzurennen, die die Liebe mit sich bringt, ist wie Seilspringen ohne Seil. Und besonders dann, wenn die andere Person diese „Blindheit“ sieht und die Liebe auszunutzen weiß.

Hierfür brauchen wir Freunde, die uns die Augen öffnen und uns in das Taxi nach Hause setzen, wenn wir den Weg in Richtung Herz nicht mehr finden. Wenn in Tor 1 nun mal der Zonk sitzt, dann müssen wir uns geschlagen geben. Meist sind unsere Freunde die wahre Beziehung. Sie schauen in uns rein, wissen was kaputt ist und machen da weiter, wo wir nicht mehr können.

Juli und ich trinken den Tee aus, bezahlen und verabschieden uns. Juli geht nach Hause und packt ihre Sachen. Sie fährt weg. Einfach so. Um einen klaren Kopf zu bekommen und den wird sie kriegen, nur eben nicht mit ihm.

„Die Liebe ist im Gegensatz zur Materie oder Energie zum Überfluss im Universum. Sie ist ein Keim, der aus dem Nichts erwächst. Selbst in den Dunkelsten aller Herzen kann sie nicht ausgerottet werden. Die Liebe ist ein wertvolles Gut, was auch verloren gehen oder gestohlen werden kann. Oder schlimmer, dass sich blutrot auf dem Boden ergießt. Die Liebe ist nicht unveränderlich. Sie kann sich in Hass verwandeln, genauso wie der Tag zur Nacht und aus dem Leben der Tod wird.“ 

2 Antworten auf „Wenn Liebe blind macht

    1. Durchaus, da hast du vollkommen recht. Dieser Text soll eben auch all denen begegnen, die nicht darüber reden können. Ein erster Schritt wäre es doch schon, das eigene Empfinden einem engen Freund mitzuteilen. Auch das kann Hilfe bedeuten.

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