Niemand hat die Absicht eine Wohnung zu finden

Während ich unter der Dusche stehe, mir leblos die Haare wasche, beschwerlich die Zähne putze und überhaupt erst richtig wach werde, klingelt es sirenenartig im Zehn-Sekunden-Takt an der Wohnungstür. Ich reagiere auf eben solche meist mit der Gleichgültigkeit des monoton fließenden Wasserstrahls vor meinen Augen.

Wohnung mit Schimmel und ohne Klo

Der Postbote soll mit seiner Weihnachtsladung von Paketen doch bitte zu unserem pensionierten Nachbarn gehen, der eh nichts anderes zu tun hat, als sich einen laminierten Arno-Dübel-Gedenktisch aus Kronkorken zu basteln, philosophiere ich noch, als es heftig zu klopfen und lärmen anfängt. Meine Eltern? Die GEZ? Sondereinsatzkommando? Nein, viel schlimmer noch. Als ich die Tür öffne, steht mein Kollege Wilfried vor mir.

Wilfried ist 39 Jahre alt, Archivar, Katzenliebhaber und ja, ihr werdet es ahnen, einsamer Single. Das nicht vorhandene Temperament lässt sich quasi an seinen Lippen ablesen, als ich ihn phlegmatisch in meine Wohnung winke. Die Wohnungsbesichtigung war wohl wieder ein Schuss in den Ofen. Wilfried sucht seit schon einem Jahr seine Traumwohnung in Berlin und findet in seinem Fall natürlich keine. „Ich habe heute leider keinen Wohnraum für dich“, könnte es auch heißen, wenn man die Absage der hippen Maklerin in die Tasche steckt und sich tags darauf in der Schlange der nächsten Besichtigung wiederfindet.

Bei der Ausschreibung der Inserate fängt es bekanntlich schon an. Wir bieten: Wohnung zur Zwischenmiete, zum Tausch, mit Abschlagszahlung, mit Mietzuschlag wegen Neubezugs, mit selbstständiger Mängelbeseitigung, mit Schimmel und ohne Klo. Die Chance, in Berlin reibungslos eine Wohnung zu finden, ist in etwa so groß, wie Harald Glööckler im Hawaiihemd oder Jürgen von der Lippe im Anzug zu begegnen. Kein Wunder, bei der rapide steigenden Bevölkerungszahl, die sich proportional zu den Kothäufchen an den Straßenecken verhält. Aber warum ist das so?

Finde dich – lautet die Devise

Ich selbst bin Berlinerin und quasi ein Urgestein in den einst friedlichen Gefilden meiner Geburtsstätte. Doch im Laufe meiner pubertären Achterbahnfahrten musste ich feststellen, dass auch die Welt sich immer weiter dreht und die Menschheit mit ihr. Obwohl ich Berlin so gut kenne wie den Inhalt meiner Hosentasche, gefüllt mit Fünf Cent-Stücken, benutzten Taschentüchern und ollen Kaugummis, verändert es sich dennoch rasend schnell.

Es ist die Zeit des Lebens, die uns dazu zwingt, neue Orte zu erkunden, uns zu suchen und zu finden. Von Kleinauf wird uns beigebracht zu funktionieren. Quasi so, wie es uns Renton in Trainspotting prophezeit hat: Choose life. Choose a job. Choose a Career. Choose a family. Choose a fucking big television. Choose a washing machine. Choose a car. Choose good health. Choose your friends. Choose a good starter home. Und genau so ist es auch im echten Leben, nur ohne Heroin. Finde dich – lautet die Devise und sei es auf dem Penny Markt-Parkplatz in Plauen.

Berlin ist Metropole. Berlin ist Mutterstadt. Berlin ist so wunderbar. Party, High Life und leben als wärs dein letzter Tag – denken die Dorfis und packen ihre Bündel Scheine ein, um sich auf den Weg in die große Stadt zu machen. Reiche Kinder investieren in Aktien und kaufen Wohnungen oder ganze Bezirke. Es ist traurig und eine alte Leier, aber mit dem explodierenden Überangebot an Eigentumswohnungen und der rigorosen Anfechtung des letzten besetzten Hauses in Berlin sinkt die Hoffnung auf das einst so starke Gemeinschaftsgefühl und hinterlässt nur den hässlichen Geschmack einer gespaltenen Gesellschaft, für die es heißt: Niemand hat die Absicht eine Wohnung zu finden.

Groupies von Harry Styles machen es vor…

So ist es leider auch mit der Wohnungssuche. Allein vor meinem Haus fand neulich eine Besichtigung mit 64 Leuten statt. Ich habe mehrmals nachgezählt, weil ich es selbst nicht glauben konnte und dachte, es wäre jemand aus dem Fenster gesprungen und ich hätte unverzüglich den Notarzt zu rufen. Doch als die Maklerin ihre 64 hysterischen Kunst-Student*innen an die Hand nahm und ins Haus führte, war mir alles klar. Groupies von Harry Styles machen es vor, die Bewerber*innen im Friedrichshain machen es nach. Frei nach dem Motto, wer am Vorabend sein Zelt aufschlägt, darf am nächsten Morgen in der ersten Reihe stehen.

Ich schaue heimlich an Wilfried herunter, als er mir in der Küche gegenübersteht, doch ein Zelt kann ich nicht sichten. Stattdessen hängt er im Fadenschein des Netzes fest und hofft insgeheim von der schwarzen Witwe entdeckt zu werden, die ihre flinken Beine stets in Bewegung hält, um alles an sich zu reißen, was guten Geschmack und eine Provision in petto hat.

Mittlerweile hat er sich mit dem Gedanken abgefunden, dass in Berlin kein Luxusloft, sondern eine solide und warme Behausung auch viel wert ist und man frei nach Arno Dübels Worten, „Man soll sich doch so wenig Arbeit machen, wie es geht.“ auch gut leben kann. Und wenn all das nicht klappt, wird es in Plauen ein nettes Plätzchen in Penny Markt-Nähe für Wilfried geben. Denn wie wir wissen, zieht es uns ohnehin irgendwann wieder an den Ort, wo unser Leben einst begann. Zurück in das alte Haus im Dorf, das Mama und Papa so lange hüten. 

Die junge Frau und das Meer

Ich blicke auf den Ozean.

Er endet am Horizont und erfüllt mit seiner blauen Herrlichkeit die komplette Waagerechte meines Sichtfeldes. Glänzend und taktvoll schwingen sich die Wellen an das Ufer, als vollführten sie einen glamourösen Tanz. Dennoch wirkt diese Gegebenheit wie eine Abgrenzung zwischen zwei Welten. Zum einen ist dort die Meerestiefe, welche unantastbar und doch zum Greifen nah, aber schlichtweg verborgen ist, als würde sie sich vor fremden Blicken schützen wollen. Zum anderen gibt es die Meeresoberfläche, auf der Boote, Surfbretter und andere Gegenstände toben und sich von Wellen und Wind lenken lassen. Die Wellen bilden sich nur langsam, aber in enormer Größe und bahnen sich ihren Weg über den blauen Teppich. Sie bilden eine Mauer und brechen, sobald sie ihren eigenen Zenit erreicht haben.

Ein guter Tag für Surfer oder solche, die es noch werden wollen.

Vor diesem massiven Wasserfall, der just in dem Moment auf mich zustürzt, sollte sich die Surfer jedoch lieber in Act nehmen. Er scheint so riesig, als würde er die Warnstufe eines Erdbeben andeuten. Sechs Meter Höhe wären vermutlich gleichzusetzen mit Stufe sechs und dies würde bedeuten – absolute Zerstörung im Umkreis des Wellenganges. Fünf Meter Höhe – Betreten des Wassers auf eigene Gefahr. Vier Meter Höhe – Vorsicht geboten und nur durch Aufsicht zu betreten. So ähnlich würde ich es zumindest einschätzen, aber das kann ich natürlich nicht, da ich ja überhaupt keine Surferin, geschweige denn Seemannsfrau bin. Obschon ich in meinem Kopf Warnstufen aufstelle, scheint es diejenigen, die auf dem Wasser surfen, nicht im Mindesten zu interessieren, wie hoch oder gefährlich die Welle ist. Ganz im Gegenteil, je höher die Welle, desto größer der Kick.

Das erinnert mich daran, dass ich bei Gefahren oder waghalsigen Aktionen, die mich an die eigenen Grenzen bringen, diese auch lieber gar nicht erst überschreiten, geschweige denn betreten sollte. Ich habe das schon hinter mir, so wie jeder von uns. Vor ein paar Jahren, als ich mit Freunden von einer circa sieben Meter hohen Klippe gesprungen bin, habe ich mir einen Rippenfellprellung zugezogen. Aber wer weiß schon, ob das überhaupt sieben Meter waren, schließlich hatte keiner von uns einen Zollstock dabei und meist wird die Höhe wohl doch erheblicher eingeschätzt, als sie tatsächlich ist. Passiert das eigentlich, um sich zu schützen oder zu schummeln? Vermutlich letzteres, da der Mensch gern dazu neigt zu übertreiben und es verrückter darzustellen als es war. So wie ich gerade, nur das die Geschichte wirklich stimmt und ich leider nichts daran toll fand.

In solchen Momenten wird mir immer ganz schwindelig.

Es kribbelt in den Füßen und mein Herz schlägt so schnell wie das eines Kolibris bei einem Frühlingsflirt im Amazonas. Der Adrenalinspiegel steigt und Vorfreude ist plötzlich mit Angst verbunden. Die Synapsen des Gehirns senden Botschaften an den Körper aus, der innerlich schreit und führen dazu, dass der Angst mit einer übereilten Entscheidung ausgewichen wird. Und so springe ich und spüre die auf mich zueilende Gefahr erst während des Fluges. Dabei stelle ich fest, dass nun alles zu spät ist und die Herausforderung zwar gewonnen, aber der Mut für etwas Neues bereits verloren ist.

Ich beobachte die Wellen, die Boote und die Surfer. Alles wirkt perfekt, als hätte keiner dieser Komponenten einen Fehler und als wäre es der friedlichste Ort auf Erden, weil man das Böse nicht kommen sieht. Ich habe den Eindruck, ich könnte die Dinge, die vor meinen Augen geschehen, lenken, obwohl sie nichts mit meiner eigenen Wirklichkeit zu tun haben und ich keinerlei Einfluss auf sie habe. Und so bewegt sich das Meer in seiner Gewohnheit vor meinen Augen – es lebt, ist tief und weit. In ihm eine stetige Unruhe, getrieben von den Erlebnissen wie denen am Strand und auf dem Meer selbst. Ich sitze auf einer blauen Liege und lasse mich nach hinten fallen. Es fühlt sich genauso herrlich an wie der Blick auf den Ozean und ich falle, ohne die Gefahr zu spüren.

Die neue Frisur

Die Unerträglichkeit des Seins

Es war der erste Morgen, an dem ich mich seit der Trennung aus dem Haus wagte. Die Trennung war schon einige Tage her. Doch ehrlich gesagt, wusste ich nicht mehr, wie viele es genau waren. Ich wusste nur noch, dass es sich anfühlte wie ein ganzes Jahr voller Schmerz, Leid und Trauer. Wir waren fünf Jahre zusammen, sind durch dick und dünn gegangen, über Sonnenblumenfelder gerannt und haben nahezu jeden Tag miteinander verbracht. Das klingt total kitschig und nervig für jeden Single, ich weiß. Aber er war nicht nur mein Freund, sondern eben auch ein Freund. Dennis war mein Seelenpartner, bis der große Show Down kam und er Schluss machte. Ich habe eigentlich immer noch nicht verstanden, warum. Obwohl er es mir hundert Mal gesagt hat: „Laura, ich liebe dich nicht mehr.“

Seitdem war Funkstille zwischen uns eingekehrt und ich wälzte mich im Bett von rechts nach links. Einkaufen war für mich unmöglich geworden, dazu musste ich ja raus. Doch wozu braucht man Lebensmittel, wenn man eh nichts isst? Der Postbote klingelte dennoch täglich an meiner Haustür. Wir kannten uns schon gut und er wusste, dass zwei Personen bei uns wohnen und er aufgrund meiner Nettigkeit ein Zwischenlager für die Nachbarn aufmachen konnte. Doch auch ihn ignorierte ich. So wie Dennis mich gekonnt ignorierte, nachdem er mir seine „nicht vorhandenen Gefühle“ mitgeteilt und unsere Wohnung verlassen hatte. Ich saß einsam am Fenster und blickte wie eine Katze durch die beschlagenen Scheiben in der Hoffnung, dass er doch noch irgendwann zurückkehren würde. Doch das tat er nicht.

Ich bin gut darin, in Selbstmitleid zu versinken. Meine Freunde nennen mich zwar empathisch, aber auch emotional gefährlich. Dabei frage ich mich immer, auf welchem Adjektiv der Fokus liegen soll: Empathisch, emotional oder gefährlich. Ich hoffe, es sind sowohl Empathie als auch Emotionen, die im Mittelpunkt meines Verhaltens gegenüber anderen stehen. Zum Glück reihen sie sich vor der verrückten Annahme ein, dass ich gefährlich sei. Oder was ist hier mit Gefahr gemeint? Manchmal frage ich mich auch, ob ich den richtigen Freundeskreis gewählt habe oder ob diese Menschen eine Schnapsidee nach einer durchzechten Nacht waren.

Der Weg nach draußen

Ähnlich geht es mir mit meinem Ex-Freund. War er vielleicht nur das Ergebnis von sechs Gin Tonic und zehn Sambuca? Schon allein der Gedanke an ihn lässt mir die Tränen in die Augen schießen. Wuttränen, keine emotionalen Tränen. Aus den emotionalen Tränen sind jetzt gefährliche Tränen geworden. Meine Augen sind knallrot und angeschwollen wie ein Penis kurz vorm Samenerguss. Genau diesen Erguss möchte ich jetzt spüren, um mich von blöden Gedanken zu lösen, um mich richtig geil zu fühlen und um mich von meinem Elend zu befreien. Und dann kam mir die Idee, womit mir dieser Samenerguss am Besten gelingen würde. Ich griff zum Handy, verschickte eine WhatsApp-Nachricht und vereinbarte einen Friseurtermin. „Keine Sorge, der Sekt steht kalt.“ schrieb mein Friseur. Egal, was heute noch passieren würde, der Tag war für mich gerettet.

Ich verließ völlig aufgetakelt das Haus, als würde ich zur Partymeile auf die Reeperbahn fahren. Meinen Leoparden-Mantel habe ich ewig nicht mehr ausgeführt. Ich zog ihn über ein schwarzes Minikleid, dass ich mit Dennis in Rom gekauft habe. Die viel zu hohen Pumps trug ich bisher nur auf diversen Hochzeiten und ein Kilo Schminke hatte ich zuletzt in der Pubertät im Gesicht. Dazu noch ein floral duftendes Parfüm, ganz viel Haarspray sowie pinken Lippenstift. Ich weiß nicht, warum ich das tat, aber es fühlte sich gut an und so konnte ich die ungeteilte Aufmerksamkeit in der S-Bahn auf mich lenken. Die Blicke von Kindern, Frauen und vor allem Männern klebten an mir wie oller Kaugummi. Ich wünschte, Dennis hätte es gesehen.

Das neue Leben

Als ich den Salon betrat, empfing mich mein Friseur skeptisch: „Laura, bist du es?“ Ich nickte, ohne zu wissen, wer ich war und brach erneut in Tränen aus. Ich wurde zu meinem Platz geführt und bekam einen Sekt auf Eis vor die Nase gestellt. „Trink, du kleines Regengesicht.“ forderte er von mir und ich nahm einen großen Zug – auf Ex. Im wahrsten Sinne des Wortes dachte ich noch während sich mein Gesicht im Spiegel als das Lebenswerk des Malers Jackson Pollock herausstellte. Das zerlaufene Make Up ergab eine bunte Formation aus abstrakten Linien. Ich war Kunst des Expressionismus. In dem Moment erwachte ich und wischte mir panisch die Schminke und Tränen mit meinem letzten benutzten Taschentuch aus dem Gesicht.

Zwei Stunden später war ein neuer Mensch geboren. Ich wurde von meinem Friseur sanft in Watte gepackt und befand mich während der Behandlung von Waschen, Schneiden, Föhnen durchweg auf Wolke Sieben. Trotz Liebeskummer auf Wolke Sieben zu schweben, ist wie der Ausflug auf eine einsame Insel mit Channing Tatum. Obwohl mein Leben ein paar Stunden zuvor noch dem Inhalt einer Kloschüssel ähnelte, wurde ich erleuchtet. Ich schaute in den Spiegel und neben mir stand Buddha. Ich war kaum wieder zu erkennen. Dort, wo sich meine Haare zuvor wie Enzyme spalteten und sich die Struktur eines künstlichen Rollrasens befand, sah ich plötzlich das geschmeidige Fell eines Leoparden. Es war nun an der Zeit, den verstaubten Leo-Mantel loszuwerden und mit neuer Frisur in ein neues Leben zu starten.

Am nächsten Tag erwachte ich glücklich und zufrieden, schaute in den Spiegel und sah immer noch die eisblauen Augen und das glänzende Fell eines Leoparden. Ich kam gerade aus der Dusche, als es klingelte. Ich schnappte mir ein Handtuch, schwang es um meinen nassen Körper und dachte eine Viertelsekunde lang an Dennis. Doch als ich öffnete, war es wie üblich der Postbote. Sein Paket fiel zu Boden und er starrte mich lächelnd an: „Laura, bist du es?“ Plötzlich sah ich keinen Postboten mehr, sondern Channing Tatum vor mir. Ich wusste nun, was ich zu tun hatte.

Sparen wie die Schwaben

Sparen – einzig bei dem Wort wird manchen Leuten schon mulmig zumute oder es tritt stattdessen ein gönnerhaftes Lächeln ins Gesicht. Komisch eigentlich, aber sobald es ums Sparen geht, scheiden sich die Geister. Die Leute lieben oder hassen es. Ich bin gar nicht schlecht darin und trotzdem war es nie so einfach, wie ich erhofft hatte.

Von der Sofaritze bis hin zum Sparkonto

Denn beim Geld zur Seite legen sollte differenziert werden, auf welche Art und Weise es getan wird. Zum Beispiel habe ich früher genau das getan, was auch darunter verstanden wird – ich habe das Geld zur Seite gelegt, indem ich es an verschiedenen Orten in meiner Wohnung versteckt habe. Angefangen unterm Kopfkissen bis hin zum Kleiderschrank oder in der Sofaritze im Wohnzimmer. Sobald sich der erste Schein an unerwarteter Stelle fand, war die Freude groß. Wenn die Verstecke in Vergessenheit gerieten und das sind sie leider nicht selten, war der Ärger umso größer. Wer kommt schon auf die Idee, Geld zu verstecken? Nicht unbedingt einer meiner besten Ideen – dafür aber immerhin eine der ersten Methoden, um sich ein kleines Vermögen für wöchentlichen Einkäufe anzuhäufen.

Irgendwann bin ich zu einem Sparkonto auf der Bank übergegangen. Da sich das Geld sparen in der Ritze des WG-Sofas nicht gerade als gewinnbringend herausstellte. Ich legte also ein klassisches Konto bei der Sparkasse an, um monatlich das Geld am Schalter einzuzahlen. Irgendwann hieß es jedoch, dieser Service müsse ab sofort bezahlt werden. Somit konnte ich von jedem noch so kleinen Sparbetrag mindestens 5 DM abzwacken, die dann den Mitarbeitern zugute kamen. Als ich einst den pickeligen Bank-Azubi fragte, wofür sie das Geld nutzen, sagte er nur: „Ist für die Kaffeekasse.“ Doch bis heute glaube ich, dass sie mich über den Tisch gezogen haben und sich eigentlich Schnapsflaschen ins Gefrierfach statt Kaffee in den Schrank gestellt haben. Schaut euch doch bloß mal die Angestellten bei der Sparkasse an, dann wisst ihr, was ich meine. Auch hier brachte mich das Sparen nicht unbedingt weiter.

Und dann war alles weg!

Dann gab es statt der üblichen Banken Direktbanken und Tagesgeldkonten. Ich wagte den Versuch und legte mein Geld auf solchen Banken an, erhielt eine Kreditkarte und siehe da, es war ein kleiner Wachstum zu verzeichnen, denn all meine Ersparnisse wurden sogar verzinst. Vor allem dann, wenn ich es kaum oder gar nicht berührte, wurden mir bis zum 5% Zinsen gut geschrieben.

Eines Tag wollte ich mein Erspartes für eine riesige Investition abheben und stellte plötzlich fest, alles war weg. Wie war das geschehen? Ich starrte fassungslos die Null auf dem Display meines Lap Tops an und rief umgehend meine Bank an, um das Konto sperren zu lassen und herauszufinden, was dort passiert war. Der Bankangestellte stellte mir nur eine Frage und die war ziemlich einleuchtend: „Haben neben Ihnen noch andere im Haushlat lebende Personen Zugriff auf Ihre Kreditkarte?“ Mir fiel sofort mein Ex-Freund ein, dem ich einmal einen Zuschuss für seine neue Playstation gesponsert hatte. Bevor ich antworten konnte, schoss der Angestellte noch hinterher: „In solchen Fällen liegt eine Eigenverschuldung durch freiwillige Herausgabe der Daten vor.“ Damit begann in diesem Moment wieder alles von vorn…

Inzwischen habe ich eins gelernt, nämlich das Sparen gar nicht soviel bringt. Sondern das es mehr Sinn macht, am Konsum zu sparen. Ich gebe weniger Geld für Klamotten, Drinks, Essen und den üblichen Quatsch aus, den man sonst so wahllos kauft in seinem Leben. Ich überdenke nun mindestens zweimal, ob ich das oder jenes wirklich brauche oder nicht gar schon habe. Ok, ehrlich genommen im Kerzenschein und ohne Strom als Frugalist zu leben ist langfristig gesehen auch nicht mein Ziel. Doch zumindest möchte ich an richtiger Stelle sparen und das mache ich, indem ich nachhaltiger konsumiere und weniger Geld ausgebe. Playstations spielen seitdem zum Glück keine Rolle mehr in meinem Leben.

Akademische Pünktlichkeit

15 Minuten vor Abfahrt solle man sich vor Ort einfinden, heißt es in der E-Mail, mit der sowohl die Buchungsbestätigung als auch das E-Ticket für die Fahrt zur Verfügung gestellt werden. Mein Bus fährt um 13 Uhr am Touri-Spot Berlin Alexanderplatz gegenüber des Hotels Park Inn ab. Ich bin natürlich eine Viertelstunde vorher da und schlürfe entspannt meinen selbstgekochten- und selbstabgefüllten Kaffee in der sich mehrenden Menschentraube. In meinem Kopf bildet sich der Vergleich „Pünktlich wie ein Maurer, der auf Arbeit wartet“ – das war allerdings nicht immer so, also das mit der Pünktlichkeit. Dazu jedoch, komme ich später noch.

Freitag ab eins macht jeder Seins

Inzwischen ist es 13:20 Uhr und von dem Bus fehlt jede Spur. Trotz der dreispurigen Fahrbahn, die an einem Freitag vormittag so viele Lücken wie der Haaransatz eines in die Jahre gekommenen Prinz William aufwirft, ist der Bus nicht im entferntesten zu sehen. Aber in Deutschland gilt hierfür bekanntlicherweise die Faustregel des öffentliches Dienstes: Freitag ab 1 macht jeder seins – das Motto einer pfannkuchengeformten Wohlstandsgesellschaft. Als der Bus 13:23 Uhr einfährt wird mir bewusst, dass ich meine zu Papier gebrachten Gedanken nochmal revidieren muss und folglich pfannkuchengeformte Ellenbogengesellschaft daraus machen muss.

Wie ein Verhaltensforscher beobachte ich die menschliche Psyche einer neben mir in der Traube stehenden Seniorengruppe. Ihre Gesichter verändern sich schlagartig mit Ankunft des Busses. Die zuvor noch herabhängenden Mundwinkel, die sehr viel Ähnlichkeit mit einer im Trend liegenden Hunderasse aufweisen, schießen plötzlich in die Höhe. Während ich noch so darüber nachdenke, warum die Evolution die Verbindung zu Hund und Mensch geschaffen hat, stößt mir jemand gekonnt seinen Ellenbogen in die Rippen und verschwindet fluchtartig und ohne sich umzudrehen in den knallgrünen Bus.

„Lohnt es sich darüber aufzuregen?“ frage ich mich, während ich mich kurzzeitig von dem Fahrgestell entferne, um meine Zigarette in aller Seelenruhe in einem dafür vorgesehenen Behälter auszudrücken. „Überhaupt nicht“, denn inzwischen habe ich gelernt, dass der Einstieg in den Bus als Letzter mehr Pro statt Kontra bringt. Beigebracht hat mir das meine akademische Pünktlichkeit, die ich eingangs erwähnt habe. Denn leider wartet kein öffentliches Verkehrsmittel 15 Minuten auf seine Mitfahrer – weder der Bus, noch der Zug und schon gar nicht der Flieger.

Mein Dank geht raus an…

Obwohl ich öfter zu spät dran bin, hat mich aus diversen Gründen das Karma stets begleitet. An dieser Stelle möchte ich meinem Kumpel Joe danken, der mich trotz kaputter Scheibenwischer im September 2016 mit seinem Auto von London nach Gatwick gebracht hat, obwohl wir bei strömendem Regen nicht mal mehr die Fahrbahn sehen konnten. Ein weiterer Dank geht an meinen Taxifahrer Mustafa, der eine „Need For Speed“-Challenge hinlegte, als es im November 2017 nach Paris ging. Der größte Dank jedoch gilt meiner Freundin Elisa, die eine Zigarettenschachtellänge auf mich am Flughafen wartete, wo sie dem Security schöne Augen machte und ihm Wodka in den Kaffee kippte, damit wir noch in den Flieger kommen. Wie sie das gemacht hat und warum er den Kaffee nicht merkwürdig fand, ist mir allerdings nach wie vor ein Rätsel.

Ja ich weiß, klingt alles ziemlich desaströs und suizidgefährdet, aber irgendwie hat es Spaß gemacht. Nun, Jahre später, sitze ich brav angeschnallt in der letzten Reihe vom Flixbus und warte geduldig auf die Abfahrt nach Hamburg. Neben mir sitzt einer dieser Rentner, der aufgrund seiner Wohlstandsplautze kaum den Gurt umgeschnallt kriegt und vor mir der Ellenbogenmensch, der nervös an seinen „Beat by Dre“-Kopfhörern rumfummelt, bis die Musik von 187 Straßenbande so laut ist, dass sie auch mein Gehör erreicht. Danach fährt er seinen Sitz nach hinten und damit direkt auf meinen Schoss. Ich werfe einen gequälten Blick zum Rentner neben mir, der inzwischen dabei ist seine Stulle aus der Tupperdose zu holen, die mit 10 cm Butter bestrichen und Zungenwurst belegt ist. Zu allem Überfluss tönt es plötzlich aus der Sprechanlage: „Willkommen an Board, ich wünsche ihnen eine angenehme Fahrt!“ und der Bus setzt sich langsam in Bewegung, um in Hamburg mit einer Meute genervter Fahrgäste garantiert zu spät einzufahren.

Treuepunkte vom Zahnarzt

Es ist mal wieder soweit, mein alljährlicher Termin beim Zahnarzt steht an. Mittlerweile verbinde ich diesen Termin mit einer Art Exorzismus, bei dem immer wieder aufs Neue versucht wird, mir den Teufel auszutreiben. Der Teufel ist die Wurzel allen Übels, die tief versteckt im Zahnfleisch auf den Moment ihrer Bühnenshow lauert, welche musikalisch von Zahninstrumenten und visuell von der grellen Neonröhre an der Decke begleitet wird.

Ursprung der Situation

Die Show wird kein gutes Ende nehmen, denke ich noch während ich zu Hause wie eine Irre meine Zähne putze, als hätte man mir drei Liter Benzin verabreicht, um mich brennen zu sehen. Und genauso renne ich auch durch die Wohnung, nur dass das Terpentin eigentlich Adrenalin heißt und ich mal wieder nicht weiß, in welche Ritze mein Fucking Bonusheft gerutscht ist.

Hier versuche ich meist meditativ zu dem Ursprung der Situation zurückzukehren. Dabei blicke ich enthusiastisch auf die vergangene Behandlung und noch enthusiastischer auf die Treuepunkte aus den letzten sechs Jahren, die mir meine Zahnzukunft sichern sollen und untersuche alle Regale und Schubladen, um herauszufinden wo ich den Bonus nach dem letzten Zahnarztbesuch ordnungsgemäß verstaut haben könnte. Nur leider sind Bonushefte keine Trophäe, sie sind der Abgrund der Hölle, wo der Teufel geduldig auf die nächste Wurzelbehandlung wartet und dir deine Goldkronen brutal aus dem Kiefer zerrt.

Ein Paralleluniversum

Wer weiß, wo sein Bonusheft liegt, kümmert sich für die Chefetage um den reibungslosen Ablauf der Mittagspause bei Currywurst Konopke, sodass die Wurst noch frisch aus dem Darm geschissen kommt und der Curryketchup neben ihr sofort seinen Geschmack entfaltet ohne je ein Gewürz gesehen zu haben. Wer weiß, wo sein Bonusheft liegt, der ist so tief gekrochen, dass sein Rückgrat von der deutschen Bürokratie verspeist wurde ohne zu schlucken. Wer weiß, wo sein Bonusheft liegt, den kann auch der 10% Zuschuss für den Zahnersatz nicht mehr retten, denn Zähne zum Reden brauchte dieser Mensch schließlich nie.

Eine Stunde später liege ich auf dem Behandlungsstuhl und schaue in die Augen des Grauens, die so etwas wie Bonushefte noch nie gesehen haben und vergesse den Gedanken daran so schnell, als wäre er mir niemals aufgekommen. Im nächsten Moment, taucht alles um mich herum in Nebel und ich betrete ein Paralleluniversum. Der Raum, in welchem ich mich nun befinde, ist bis auf eine dunkle Gestalt, kalkweiß und grell. Langsam dreht sich die Gestalt zu mir um und öffnet ihren Schlund, um ihre funkelnden Goldzähne zu präsentieren und mir mit verzerrter Stimme mitzuteilen: „Bonusheft, bitte“. Ich antworte darauf mit einem Zähneknirschen. Die Suche nach dem Bonusheft ist ein Pakt mit dem Teufel und wird mich irgendwann mein Gebiss kosten. Doch zum Glück, kann ich mich alternativ ja noch schriftlich ausdrücken und auf die Treuepunkte bei REWE zurückblicken.

 

 

 

 

Philadelphia

Das Leben geht seinen Gang. Das tut es irgendwie immer, egal wo man sich befindet, wie es einem geht oder welche politischen Ausschreitungen gerade auf der Welt geschehen, es nimmt keine Rücksicht auf irgendwen. Nicht auf dich, deine persönliche Verfassung und erst recht nicht auf den Wandel deines Lebens. Die Zeit bleibt nicht stehen, die Uhr wird sich unentwegt weiterdrehen, selbst wenn du irgendwann nicht mehr mit ihr gehst.

Intro

Ein Bus fährt durch die Straßen, Menschen winken ihm zu, Gärtner befreien Vorgärten vom Herbstlaub, die Feuerwehr macht sich auf den Weg, Ruderer durchqueren den Delaware River, Bootsfahrer legen am Steg an, das Leben geht seinen Gang. Mit diesen Szenen beginnt der Film „Philadelphia“. Ein ganz normaler Alltag eben, das will er uns vermitteln. Und so ist es auch, die stetige Routine, die uns im Nacken hängt und sich nur schwer abschütteln lässt. Sie bringt positive, gleichgültige, jedoch auch negative Erlebnisse mit sich. Doch spricht man noch von Routine, sobald sich Erlebnisse ins Negative umkehren?

In gewisser Hinsicht leider schon, denn meistens betrachten wir unseren Alltag nur äußerlich. Doch was sich innerhalb unseres Körpers fernab von Emotionen abspielt, lässt sich nur selten erahnen. Ein Virus kann sich Tage, Wochen oder gar Monate rasend schnell in unserem Organismus ausdehnen, während wir uns zwar stetig, aber nur in Schrittgeschwindigkeit fortbewegen. Ein Virus kann seine Struktur verändern und unsere Körperfunktionen beheben, während wir zum Friseur gehen und abends mit einen vermeintlichen Fieber im Bett liegen.

Realität

Das Leben kann ein Arschloch sein, ein richtig mieses sogar und so ist es nicht nur im Film, sondern leider noch viel öfter in der Realität der Fall. Ein Freund von mir hat Aids. Er trägt es schon Jahre mit sich, das HI-Virus wird er hoffentlich bald besiegen, doch solange es da ist, muss er mit ihm leben – dem Ding, dass versucht sukzessive seinen Körper zu ruinieren und nicht nur das, es schafft auch eine Psyche zu verbarrikadieren.

Wie geht man im Alltag damit um, wenn sich etwas anbahnt, auf das man nur geringen Einfluss hat? Menschen sagen, man spricht mit jemanden, das hat er getan. Aber retten können sie dich nicht und wie lange ist man gewillt von einer Krankheit mit tödlichem Verlauf zu reden? Nur solange, man die Kraft dazu hat? Vermutlich ja. Daher darf die Diskussion, trotz schlimmster Ausmaße, nie enden. Sie muss fortgesetzt werden, bis sie in den kleinsten Winkel jedes Gehörs gedrungen ist. Doch hat der Mensch die Angewohnheit, seine Sorgen schnell ad acta zu legen und das alte verstaubte Buch nie wieder hervorzuholen.

Outro

Das Virus setzt sich fort, egal was wir von ihm denken. Es hat keinen Verstand, was es jedoch hat – einen immensen Einfluss. Es manipuliert unseren Verstand und birgt Gefahren, welche einzelne Personen wie eine Doktrin auffassen. Ein System von Ansichten, die dazu aufrufen das Virus zu umgehen, sind in aufklärerischer und medizinischer Hinsicht gut. Aber solche, die dazu aufrufen, den Menschen mit Krankheit auszugrenzen, sind schädlich und krankhafter als das Virus selbst. Daher hoffe ich, obschon nach nahezu 40 Jahren, wird der Verstand der Menschheit eine Krankheit besiegen, mit der man inzwischen bis ans Lebensende glücklich sein kann. Ich glaube fest daran und werde meinen Freund und jeden weiteren, niemals aufgeben.

Vor 25 Jahren, exakt am 21.03.1994, hat Bruce Springsteen den eigens für den Film „Philadelphia“ geschriebenen Song „Streets of Philadelphia“ in den USA veröffentlicht. Der Film, welcher sich thematisch mit der Erkrankung des in den frühen 80ern entdeckten HI-Virus beschäftigt, lief ein Jahr zuvor in den Kinos an und brachte dem Regisseur Jonathan Demme, dem Hauptdarsteller Tom Hanks, dem Songwriter Bruce Springsteen und vielen mehr 20 Awards von ingesamt 22 Nominierungen ein. „Streets of Philadelphia“ wurde unzählige Male gecovert und ist bis heute unantastbar – sollte es die Würde des Menschen nicht auch sein?

Sport ist Mord

Der Winter ist da.

Kaum wirfst du einen Blick aus dem Fenster, sind schon die ersten Eisblumen an der Scheibe und der Schnee nicht mehr weit entfernt. Es ist kalt, so kalt, dass du das Haus nicht mehr verlassen willst – egal, ob es Freitag, Samstag oder irgendein anderer Vizefreitag der Woche ist. Stattdessen kochst du dir einen Ingwer-Lavendel-Magenkrampf-Tee und legst dich mit einer kochend heißen Wärmflasche ins Bett, um alle kürzlich veröffentlichten Serien, Spielfilme und Dokumentationen bei Netflix wegzusuchten. Hauptsache du musst nicht frieren.

Klingt alles erstmal ganz toll. Gammeln, kuscheln, schlafen. Diese drei Verben jedenfalls, sind der Reihe nach meine absoluten Favoriten, die ich bis zur Reinkarnation als Faultier schon mal ausgiebig übe. Wenn da nicht diese eine Sache wäre. Die Sommerzeit, denn sie möchte einen Speer zwischen dich und die Pfunde der Weihnachtszeit werfen. Zurecht, denn Anfang des Jahres trägst du immer noch das dazu gewonnene Gewicht wie einen abgelaufenen Bierkasten mit dir herum. Ja selbst deine Jogginghose im Schrank, würde sich am Liebsten in den letzten Winkel verkriechen, um bloß nicht von dir getragen zu werden. Traurig, aber wahr. Also schaust du der bitteren Wahrheit ins Gesicht und gehst da hin, wo alle sind und es heißt „Super Fit – Wir lieben Sport“.

Wer hat sich diesen Slogan einfallen lassen?

Es reicht scheinbar nicht, dass es kalt draußen ist, nein. Hier wird dir auch noch eiskalt ins Gesicht gelogen. Niemand liebt Sport. Vor allem nicht dann, wenn es darum geht, sich Gewicht abzutrainieren und nach 120 Minuten wegen völliger Überlastung und wasserfallartigen Schweißausbrüchen auf der Toilette zu verstecken, um wieder die Atmung zurückzuerlangen. Die Werbeagentur Jung von Matt, welche Slogans für die BVG ins Leben ruft, wäre in dem Umgang mit deinem Gewicht wenigstens ehrlich gewesen. Dort hätte es in einer Kooperation mit Easy Jet beispielsweise heißen können: „Laufen ist wie fliegen. Nur ebenerdig.“

Nachdem du also bei klirrender Kälte zum Super Fit gelaufen bist, nicht weil die Bahn auf sich warten ließ, sondern weil du dich selbst dazu motiviert hast, schaust du dem fiesen Feind ins Gesicht. Wie in einem Wilden Western betrittst du die Trainingsfläche und hältst die Hand stets am Revolver, um dich vor energischen Mitarbeitern und vor Steroiden geschwängerten Muskeln zu schützen. Du fühlst dich stark und trittst dem Endgegner selbstbewusst gegenüber. Zu blöd nur, dass du in der Realität wie ein Steinbruch aussiehst, in dem eine Ladung Dynamit explodiert ist.

Kopf hoch und ab auf die Matte.

Jetzt ist Body Pump angesagt. Der Stress geht schon los, während du dir deine Materialien zusammen suchst. Hier ist sowohl Schnelligkeit, als auch Geschick gefragt. Wenn du das erste Mal einen Kurs im Super Fit besuchst, sei dir gesagt – geh nicht allein. Zu zweit ist es einfacher sich durch die Menschenmenge zu boxen, während du schreiend eine Zerrung vortäuscht. Sobald du eine Langhantel, zehn Gewichte in allen möglichen Abstufungen, einen Step und eine Matte vor dir liegen hast, startet das Camp David.

Hier kommt der Teil der Geschichte, der am meisten weh tut. Deswegen lasse ich ihn einfach weg und komme direkt zum Finale Grande. Woran du merkst, dass du überlebt hast? Daran, dass du es mit neuen Muskeln an Armen, Beinen und Bauch nur auf allen Vieren wieder aus dem Raum schaffst. Zehn Minuten später, nachdem du auf der Toilette wieder zu Atem gekommen bist, schaust du in den Spiegel. Wo jeder Sportler, den aus Fachkreisen besagten „Shiny Glow“ sichtet, erwartet dich nur das Gesicht einer überreifen Tomate, die kurz vorm Explodieren ist. Vor deinem inneren Auge läuft eine Netflix-Doku über regionales Gemüse ab, sie könnte deinen Namen tragen.

Seien wir wirklich mal ehrlich.

Eigentlich müssen wir der BVG dankbar sein, dass die Bahn nie fährt. Wir kommen endlich dazu Pfunde abzutrainieren, müssen nicht in einer überfüllten Bahn stehen und können uns nebenbei auch noch den Hintern abfrieren, um uns zu Hause mit einem Ingwer-Lavendel-Magenkrampf-Tee und der Wärmflasche völlig legitim ins Bett zu legen. Ach Winter, irgendwie mag ich dich. Nur über den Sport müssen wir nochmal reden. Detox kommt dann im Sommer.

Reise nach Jerusalem

Retrospektive

Vor einigen Tagen habe ich es gewagt. Ich habe mich endlich an den für mich prägnantesten Ort der Geschichte begeben. Nicht nur historisch, auch kulturell ist Israel wahnsinnig facettenreich und setzt in der Gesellschaft so kontrastreiche Akzente wie kaum ein anderes Land dieser Welt.

Angefangen hat alles vor 15 Jahren, als ich mich das erste Mal neben dem Rahmenplan der Schule mit Israel beschäftigt habe. Da der Unterricht nicht viel mehr bot als Nationalsozialismus und Holocaust, habe ich begonnen selbst die Ursachen der systematischen Vernichtung zu untersuchen, denn an der Oberfläche einer tief verwurzelten Ethnie zu stochern, genügte mir hier in keinerlei Hinsicht.

Mit dem Gedanken sich mehr und mehr den Menschen hinter dieser grausamen Geschichte zuzuwenden, reifte auch der bloße Gedanke sich darüber mit anderen auszutauschen und so entstand schon bald unsere eigene kleine politische Gruppe, die sich neben dem Abitur mit der Geschichte im Allgemeinen befasste und dafür ein neues Bewusstsein fand – kein Mensch ist illegal.

Man könnte jetzt meinen ja, ja, Antifa, ist genauso radikal, doch zum damaligen Zeitpunkt hatten wir eine ganz andere Auffassung von Antifaschismus, der nichts mit Steine werfen und Pfefferspray auf Demonstrationen zu tun hatte, sondern vielmehr mit dem Gefühl der Gleichheit einherging. Diese Meinung vertrete ich auch heute noch, hieran hat sich nichts geändert, obschon sich für viele das Motiv dieser Auffassung geändert haben mag.

Geduld lautet die Devise

Eine Reise nach Jerusalem ist ein bisschen wie ein Stuhltanz um die eigene Achse. Du läufst durch das Dickicht am Flughafen und wirst an jeder Ecke ausgebremst. Wenn du im Vorfeld nicht genügend Informationen über Israel eingeholt hast, bist du eigentlich schon aufgeschmissen, bevor du überhaupt deinen liebevoll mit Bordkarte und Kotztüte ausgestatteten Sitzplatz 24B der Airline gesehen hast.

Tja, sagen wir mal so, wir waren vorbereitet und dennoch gab es Probleme. Die aber nicht aufgrund mangelnder Infos über Einreise, Gültigkeit des Reisepasses oder 1 Liter-Kosmetiktütchen aka Gefrierbeutel aufkamen, sondern wegen eines ganz simplen Vorfalls verursacht wurden – der Abholung des Koffers am Gepäckband.

Der Koffer war weg und somit auch unser Relikt, Heiligtum der ganzen Reise, gefüllt mit Champagner, Gin und ach ja, einer Badehose. Wie sollten wir also nun die kommenden sieben Tage größenwahnsinnig überstehen? Richtig, in erster Linie mit einem Bier und einer Zigarette am Flughafen.

Zu unserem Glück fanden wir zehn Bier und zwanzig Zigaretten später endlich zu dem Koffer zurück. Geduld lautet die Devise jedes Berliners, der ein Bürgeramt nach drei Monaten Wartezeit, zwar schon mal von innen, nicht aber jedoch den Schalter geschweige denn das Dokument, für das er den Termin vereinbart hat, gesehen hätte.

Diversität ohne Grenzen

Die Reise konnte also beginnen, in einem Apartment, welches für rund 666 Euro mit einem Aufschlag von 20% eindeutig für einen professionellen Kammerjäger warb. „Herzlichen Glückwunsch“, tönte es aus meinem Mund, „endlich folgt der langersehnte Urlaub, der mich dazu auffordert 24/7 außerhalb meiner Unterkunft zu verbringen und vorzugsweise die noch so schäbigste Toilette jeder Bar zu erkunden, statt jener in den eigenen vier Wänden.“

Draußen sein ist eh schöner als rausgucken. Nicht ohnehin hat man der Stadt Tel Aviv den glorreichen Namen „Frühlingshügel“ verpasst und sie mit Kunst und Kultur in jeder Ecke versehen. Überall findet man bunte LGBTQIA-Bars, hippe Restaurants und einen kilometerweiten Strand, der dem Miami Beach in nichts nachsteht. Aber auch die schönste Aufmachung hat so ihre Schattenseiten, denn in jedem toten Winkel quillt der Dreck hervor.

Vor dem Späti des Vertrauens wird achtlos der Müll vor die Eingangstür gefeuert. Berge aus Kippen stapeln sich vor den Kaffeehäusern auf dem Rothschild Boulevard, welches insbesondere durch den Bauhaus-Stil als die weiße Stadt angesehen wird. Spätestens hier treffen Sein und Schein aufeinander und lassen auch das sogenannte Pinkwashing, welches als mutmaßliche PR-Strategie der israelischen Regierung bekannt ist, nicht mehr außer Acht.

Weltreligion vs. Kapitalismus

Wo die Szenestadt Tel Aviv noch für ein angenehmes Miteinander schnell Antworten findet, ist die Hauptstadt Jerusalem hingegen als Zentrum Dreier Weltregionen, Juden, Christen und Muslimen bekannt und wirft viele Fragen auf, die sich durch das Gesamtbild nur schwer erschließen lassen. Der Tempelberg, der weltweit als heiliger Ort anerkannt wird, sorgt immer wieder für kontroversen Gesprächsstoff.

Zurecht auch, denn wie kann ein friedliches Miteinander an einem Ort stattfinden, wo einst Granaten einschlugen und sich politisches Kalkül seinen Weg ebnete. Im Grunde genommen ist ein modernes Konzept, welches Religionen bündelt natürlich ein progressiver Schritt, dass möchte ich nicht aberkennen, doch die Angst des ewigen Terrors bleibt für Israelis und Palästinenser gleichermaßen bestehen, da sie bis heute zwischen Leben und Tod ihrem Alltag nachgehen.

Weiterhin kam in mir die Frage auf, wie an einem heiligen Ort die Fahne für den Kapitalismus geschwungen werden kann? Der Tempelberg wirkt wie ein Gerüst, in dessen Innerem sich ein Basar von Souvenirs auftut, die kein Mensch der Welt jemals brauchen wird. Die historische Altstadt verließ ich mit wechselhaften Gefühlen, in jedem Fall hat sie dafür gesorgt, dass sie mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Wunder der Natur

Nun war es an der Zeit die sieben Sachen zu packen und weiterzuziehen. Das tote Meer an der Grenze zu Jordanien kam nach einem solchen Kulturschock genau richtig. Nach anderthalb Stunden Busfahrt stiegen wir aus, obwohl uns der Busfahrer warnte, dass dies kein Free Beach sei. Was uns egal war, brachte ihn erst recht auf 180, obwohl nur 70 erlaubt waren. Wie sich herausstellte, zahlten wir nichts und badeten stattdessen in der Essenz des 400 m unter dem Meeresspiegel liegenden Salzsees, dem tiefsten Punkt auf trockenem Land.

Wir schwebten in dem kristallklaren Wasser und sonnten uns mit öliger Haut an dem orangefarbenen Strand. Aber auch hier, mitten in der Wüste, bekommt man den Wandel mit. Jährlich sinkt der Wasserspiegel des toten Meeres um einen Meter und der Krater, der sukzessive zum Vorschein kommt, erinnert an eine Mondlandschaft. Nur Neil Armstrong trifft man hier nicht.

In sieben Tagen haben wir höchstens einen Bruchteil von Israel kennenlernen können und trotzdem habe ich noch nie so viel Diversität miterlebt wie hier. Es ist vor allem der Sphagat (populäre Gay-Bar) zwischen Ost und West, zwischen Religion und Liberalismus. Selbst als Berliner kann man den Hut ziehen und sich kulturell beeindrucken lassen.

Schlussendlich gilt meine 15 Jahre alte Ansicht nach wie vor, das haben mir zumindest die Locals, egal ob Jude, Christ oder Muslim bewiesen – kein Mensch ist illegal. Auch wenn die Securities schon mal bis auf die Unterhose durchdringen, man sagt Shalom und macht da weiter, wo man aufgehört hat.

50 Shades of Greymnitz

Ja, den Film kennt ihr alle. Vielleicht nicht gesehen, aber gehört haben viele von ihm. Ich kenne ihn auch nur aufgrund seiner peinlich berührenden Obszönität. Wenn man randomly bei Wikipedia „nachschlägt“, handelt es sich um einen amerikanischen Erotikfilm aus dem Jahre 2015 in einer Spiellänge von 125 Minuten, dem 50% der Zuschauer eine positive Kritik zusprechen.

50% der Zuschauer? Das gleicht den diesjährigen Straftaten im Direktionsbereich Chemnitz. Ob die Straftat des Ende August getöteten Mannes in dieser Statistik aufgenommen wurde, kann ich zwar nicht sagen, Fakt ist jedoch, dass dieser Vorfall eine grausame rechte Hetzjagd á la Reichsprogromnacht verursacht hat und wir uns fragen müssen wie so etwas nach 80 Jahren noch möglich sein kann.

Würde ich nun eine wissenschaftliche Abhandlung über die stumpfsinnige Bevölkerung einer Stadt und das triviale Publikum eines Fifty Shades of Grey-Möchtergern-Pornos halten, würde mir einige absurden Thesen in den Sinn kommen. Da es mir aber obliegt, im Rahmen der Lokalpolitik auf dem oblatendünnen Eis des Halbdreiviertelwissens auszurutschen, möchte ich nur dem Aufruf #wirsindmehr folgen und die 50 Grautöne, die eine gefährliche Liebe mit sich bringen, nicht mal als Farbtupfer im Einsatz in vier Wänden mit Tine Hitler an die Tapete klatschen.

Grau genug ist es in Chemnitz ohnehin schon. Plattenbauten in dem Wohngebiet Fritz Heckert, Mäusefamilien im Gleisbett der Citybahn, graue Gesichter kettenrauchender Wutbürger, die nur noch zehn Mal auf den Bummel-Bus Richtung Ordnungsamt warten müssen, bevor sie sich mit Wohlstandsbauch in die undankbare Rente verabschieden. Und warum das alles? Weil die Fassade bröckelt, die Lunge nichts mehr zur Arbeit beiträgt und die Leber mit einer Zirrhose kämpft. Dabei könnte alles so schön sein, aber dann wäre es so, als würde man versuchen einen USB-Stick mit einem Vorschlaghammer vorsichtig vom Rechner zu trennen. Alles fürn Arsch also, vor allem im armen Deutschland.

Und wo wir grad schon bei Arsch sind – wie bin ich jetzt eigentlich von einem eingangs beschriebenen Erotikfilm in die stümperhafte Lokalpolitik der Karl-Marx-Stadt geraten? Achja, neben den vielen Grautönen gibt es ja auch so etwas wie eine Grauzone. Aber diesem Thema wenden wir uns einem anderen Mal zu. Gerne dann, wenn die Welt dazu bereit ist soviel Farbe zu bekennen, dass sie mehr als über ein von Kraftklub organisiertes Konzert hinausgeht. Und das sollten wir nach 80 Jahren doch nun wirklich mal hinkriegen oder?