Niemand hat die Absicht eine Wohnung zu finden

Während ich unter der Dusche stehe, mir leblos die Haare wasche, beschwerlich die Zähne putze und überhaupt erst richtig wach werde, klingelt es sirenenartig im Zehn-Sekunden-Takt an der Wohnungstür. Ich reagiere auf eben solche meist mit der Gleichgültigkeit des monoton fließenden Wasserstrahls vor meinen Augen.

Wohnung mit Schimmel und ohne Klo

Der Postbote soll mit seiner Weihnachtsladung von Paketen doch bitte zu unserem pensionierten Nachbarn gehen, der eh nichts anderes zu tun hat, als sich einen laminierten Arno-Dübel-Gedenktisch aus Kronkorken zu basteln, philosophiere ich noch, als es heftig zu klopfen und lärmen anfängt. Meine Eltern? Die GEZ? Sondereinsatzkommando? Nein, viel schlimmer noch. Als ich die Tür öffne, steht mein Kollege Wilfried vor mir.

Wilfried ist 39 Jahre alt, Archivar, Katzenliebhaber und ja, ihr werdet es ahnen, einsamer Single. Das nicht vorhandene Temperament lässt sich quasi an seinen Lippen ablesen, als ich ihn phlegmatisch in meine Wohnung winke. Die Wohnungsbesichtigung war wohl wieder ein Schuss in den Ofen. Wilfried sucht seit schon einem Jahr seine Traumwohnung in Berlin und findet in seinem Fall natürlich keine. „Ich habe heute leider keinen Wohnraum für dich“, könnte es auch heißen, wenn man die Absage der hippen Maklerin in die Tasche steckt und sich tags darauf in der Schlange der nächsten Besichtigung wiederfindet.

Bei der Ausschreibung der Inserate fängt es bekanntlich schon an. Wir bieten: Wohnung zur Zwischenmiete, zum Tausch, mit Abschlagszahlung, mit Mietzuschlag wegen Neubezugs, mit selbstständiger Mängelbeseitigung, mit Schimmel und ohne Klo. Die Chance, in Berlin reibungslos eine Wohnung zu finden, ist in etwa so groß, wie Harald Glööckler im Hawaiihemd oder Jürgen von der Lippe im Anzug zu begegnen. Kein Wunder, bei der rapide steigenden Bevölkerungszahl, die sich proportional zu den Kothäufchen an den Straßenecken verhält. Aber warum ist das so?

Finde dich – lautet die Devise

Ich selbst bin Berlinerin und quasi ein Urgestein in den einst friedlichen Gefilden meiner Geburtsstätte. Doch im Laufe meiner pubertären Achterbahnfahrten musste ich feststellen, dass auch die Welt sich immer weiter dreht und die Menschheit mit ihr. Obwohl ich Berlin so gut kenne wie den Inhalt meiner Hosentasche, gefüllt mit Fünf Cent-Stücken, benutzten Taschentüchern und ollen Kaugummis, verändert es sich dennoch rasend schnell.

Es ist die Zeit des Lebens, die uns dazu zwingt, neue Orte zu erkunden, uns zu suchen und zu finden. Von Kleinauf wird uns beigebracht zu funktionieren. Quasi so, wie es uns Renton in Trainspotting prophezeit hat: Choose life. Choose a job. Choose a Career. Choose a family. Choose a fucking big television. Choose a washing machine. Choose a car. Choose good health. Choose your friends. Choose a good starter home. Und genau so ist es auch im echten Leben, nur ohne Heroin. Finde dich – lautet die Devise und sei es auf dem Penny Markt-Parkplatz in Plauen.

Berlin ist Metropole. Berlin ist Mutterstadt. Berlin ist so wunderbar. Party, High Life und leben als wärs dein letzter Tag – denken die Dorfis und packen ihre Bündel Scheine ein, um sich auf den Weg in die große Stadt zu machen. Reiche Kinder investieren in Aktien und kaufen Wohnungen oder ganze Bezirke. Es ist traurig und eine alte Leier, aber mit dem explodierenden Überangebot an Eigentumswohnungen und der rigorosen Anfechtung des letzten besetzten Hauses in Berlin sinkt die Hoffnung auf das einst so starke Gemeinschaftsgefühl und hinterlässt nur den hässlichen Geschmack einer gespaltenen Gesellschaft, für die es heißt: Niemand hat die Absicht eine Wohnung zu finden.

Groupies von Harry Styles machen es vor…

So ist es leider auch mit der Wohnungssuche. Allein vor meinem Haus fand neulich eine Besichtigung mit 64 Leuten statt. Ich habe mehrmals nachgezählt, weil ich es selbst nicht glauben konnte und dachte, es wäre jemand aus dem Fenster gesprungen und ich hätte unverzüglich den Notarzt zu rufen. Doch als die Maklerin ihre 64 hysterischen Kunst-Student*innen an die Hand nahm und ins Haus führte, war mir alles klar. Groupies von Harry Styles machen es vor, die Bewerber*innen im Friedrichshain machen es nach. Frei nach dem Motto, wer am Vorabend sein Zelt aufschlägt, darf am nächsten Morgen in der ersten Reihe stehen.

Ich schaue heimlich an Wilfried herunter, als er mir in der Küche gegenübersteht, doch ein Zelt kann ich nicht sichten. Stattdessen hängt er im Fadenschein des Netzes fest und hofft insgeheim von der schwarzen Witwe entdeckt zu werden, die ihre flinken Beine stets in Bewegung hält, um alles an sich zu reißen, was guten Geschmack und eine Provision in petto hat.

Mittlerweile hat er sich mit dem Gedanken abgefunden, dass in Berlin kein Luxusloft, sondern eine solide und warme Behausung auch viel wert ist und man frei nach Arno Dübels Worten, „Man soll sich doch so wenig Arbeit machen, wie es geht.“ auch gut leben kann. Und wenn all das nicht klappt, wird es in Plauen ein nettes Plätzchen in Penny Markt-Nähe für Wilfried geben. Denn wie wir wissen, zieht es uns ohnehin irgendwann wieder an den Ort, wo unser Leben einst begann. Zurück in das alte Haus im Dorf, das Mama und Papa so lange hüten. 

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