Mehr am Meer

Ich blicke auf den Ozean.

Er endet am Horizont und erfüllt mit seiner blauen Herrlichkeit die komplette Waagerechte meines Sichtfeldes. Glänzend und taktvoll schwingen sich die Wellen an das Ufer, als vollführten sie einen glamourösen Tanz. Dennoch wirkt diese Gegebenheit wie eine Abgrenzung zwischen zwei Welten. Zum einen ist dort die Meerestiefe, welche unantastbar und doch zum Greifen nah, aber schlichtweg verborgen ist, als würde sie sich vor fremden Blicken schützen wollen. Zum anderen gibt es die Meeresoberfläche, auf der Boote, Surfbretter und andere Gegenstände toben und sich von Wellen und Wind lenken lassen. Die Wellen bilden sich nur langsam, aber in enormer Größe und bahnen sich ihren Weg über den blauen Teppich. Sie bilden eine Mauer und brechen, sobald sie ihren eigenen Zenit erreicht haben.

Ein guter Tag für Surfer oder solche, die es noch werden wollen.

Vor diesem massiven Wasserfall, der just in dem Moment auf mich zustürzt, sollte sich die Surfer jedoch lieber in Act nehmen. Er scheint so riesig, als würde er die Warnstufe eines Erdbeben andeuten. Sechs Meter Höhe wären vermutlich gleichzusetzen mit Stufe sechs und dies würde bedeuten – absolute Zerstörung im Umkreis des Wellenganges. Fünf Meter Höhe – Betreten des Wassers auf eigene Gefahr. Vier Meter Höhe – Vorsicht geboten und nur durch Aufsicht zu betreten. So ähnlich würde ich es zumindest einschätzen, aber das kann ich natürlich nicht, da ich ja überhaupt keine Surferin, geschweige denn Seemannsfrau bin. Obschon ich in meinem Kopf Warnstufen aufstelle, scheint es diejenigen, die auf dem Wasser surfen, nicht im Mindesten zu interessieren, wie hoch oder gefährlich die Welle ist. Ganz im Gegenteil, je höher die Welle, desto größer der Kick.

Das erinnert mich daran, dass ich bei Gefahren oder waghalsigen Aktionen, die mich an die eigenen Grenzen bringen, diese auch lieber gar nicht erst überschreiten, geschweige denn betreten sollte. Ich habe das schon hinter mir, so wie jeder von uns. Vor ein paar Jahren, als ich mit Freunden von einer circa sieben Meter hohen Klippe gesprungen bin, habe ich mir einen Rippenfellprellung zugezogen. Aber wer weiß schon, ob das überhaupt sieben Meter waren, schließlich hatte keiner von uns einen Zollstock dabei und meist wird die Höhe wohl doch erheblicher eingeschätzt, als sie tatsächlich ist. Passiert das eigentlich, um sich zu schützen oder zu schummeln? Vermutlich letzteres, da der Mensch gern dazu neigt zu übertreiben und es verrückter darzustellen als es war. So wie ich gerade, nur das die Geschichte wirklich stimmt und ich leider nichts daran toll fand.

In solchen Momenten wird mir immer ganz schwindelig.

Es kribbelt in den Füßen und mein Herz schlägt so schnell wie das eines Kolibris bei einem Frühlingsflirt im Amazonas. Der Adrenalinspiegel steigt und Vorfreude ist plötzlich mit Angst verbunden. Die Synapsen des Gehirns senden Botschaften an den Körper aus, der innerlich schreit und führen dazu, dass der Angst mit einer übereilten Entscheidung ausgewichen wird. Und so springe ich und spüre die auf mich zueilende Gefahr erst während des Fluges. Dabei stelle ich fest, dass nun alles zu spät ist und die Herausforderung zwar gewonnen, aber der Mut für etwas Neues bereits verloren ist.

Ich beobachte die Wellen, die Boote und die Surfer. Alles wirkt perfekt, als hätte keiner dieser Komponenten einen Fehler und als wäre es der friedlichste Ort auf Erden, weil man das Böse nicht kommen sieht. Ich habe den Eindruck, ich könnte die Dinge, die vor meinen Augen geschehen, lenken, obwohl sie nichts mit meiner eigenen Wirklichkeit zu tun haben und ich keinerlei Einfluss auf sie habe. Und so bewegt sich das Meer in seiner Gewohnheit vor meinen Augen – es lebt, ist tief und weit. In ihm eine stetige Unruhe, getrieben von den Erlebnissen wie denen am Strand und auf dem Meer selbst. Ich sitze auf einer blauen Liege und lasse mich nach hinten fallen. Es fühlt sich genauso herrlich an wie der Blick auf den Ozean und ich falle, ohne die Gefahr zu spüren.

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